Ich sitze im Zug und obwohl ich lediglich ein paar Stunden schlafen werde, ist mein Rucksack gigantisch. Nicht als würde ich mit so einem riesigen Rucksack laufen wollen, aber irgendwie hat es sich angesammelt und einen riesigen Rucksack gefüllt.
Aber von vorne. Ich bin auf dem Weg nach Savognin um am diesjährigen Irontrail T78 teilzunehmen. Mich erwarten 78 km und 4300 Höhenmeter durch hoffentlich malerische und wunderschöne schweizer Alpenlandschaft.
Ich frage mich immer wieder, warum ich mir so etwas antue? Warum? 4h Anreise mit dem Zug, eine Übernachtung weit weg von zuhause und meiner Familie, die Strapazen vom Lauf, die Nachwehen mal ganz abgesehen von der Zeit, welche die Vorbereitung und das Training in Anspruch genommen hat.
Stattdessen könnte ich gemütlich im Büro sitzen, ein paar Zeilen Code schreiben und am Abend gemütlich draussen sitzen und ein kühles Getränk schlürfen. Stattdessen werde ich früh schlafn gehen und mich vor Nervosität hin- und herwälzen, um trotzdem übermüdet um 3 Uhr aufzustehen um bereit zu sein für den Start um 4 Uhr morgens. Warum?
Ich werde es wissen, wenn ich morgen an der Startlinie stehe und in der kühlen Morgenluft den ersten Berg erklimme. Es ist dieses auf eine Art befreiende Gefühl, allein und die Beinarbeit voranzugehen. Es ist dieser meditative Status in der sich die Welt auf den nächsten Schritt reduziert und alles andere drum herum an Wichtigkeit verliert.
Und so kribbelt es mir förmlich in den Beinen, endlich wieder loslaufen zu können
Leider hat am Montag ein Fuss angefangen leicht zu zwicken. Keine Schmerzen, aber irgendetwas scheint doch nicht ganz zu sein wie es normal ist und so habe ich alle lockeren Tappering Runden gestrichen um meinem Fuss maximale Erholung zu gönnen. Es wäre jammerschade, wenn ich das Rennen wegen irgend einer dummen Verletzung nicht antreten könnte.
Da bereite ich mich 3 Monate gezielt darauf vor, nur um dann ein paar Tage davor aufgrund einer Verletzung/Erkrankung kapitulieren zu müssen. Wie schlimm muss das sein und so verstehe ich alle Olympiateilnehmer, welche dieses Schicksal ereilt ist und kann jede Träne nachvollziehen.
Racestrategie?
Es wäre schön, wenn ich in unter 14h ankommen könnte. Auf dem Papier sieht das realistisch aus, doch irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass ich das nicht schaffen werde, dass irgend etwas nicht so geht, wie ich das geplant habe. Wir werden sehen.
Obwohl es so langsam ist. Das sind gerade einmal gute 10 Min pro Kilometer. Das klingt nach nichts… wenn da nicht diese hohen Berge wären.
Fehler Nummer 1
Um 19 Uhr komme ich in Savognin an und gehe gleich direkt zum Startgelände, um noch meine Startnummer abzuholen, damit ich mich morgen früh nicht mehr darum kümmern muss. Soweit klappt das.
Annika hat mir noch die Reste vom Mittagessen eingepackt: die besten Spaghettis ever! Ich freue mich, noch ein kleines Abendessen zumir zu nehmen und dann zu schlafen… eigentlich habe ich gar nicht so hunger. Egal. Stellt sich heraus, dass es eine riesige Portion ist und natürlich esse ich alles.
Mit einem Klotz im Bauch lege ich mich um 20:30 Uhr ins Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Die Spaghettis liegen schwer und ungemütlich im Bauch. Ich drehe mich hin und her. Die Minuten vergehen und werden zu Stunden. Dazwischen quälender Durst, den ich immer habe, wenn ich zu viel gegessen habe am Abend. Ich versuche alles… aber keine Chance.
Um 3 Uhr stehe ich auf. Laut Uhr habe ich 3h geschlafen, sehr schlecht. Body Batterie laut meiner Garmin Uhr ist auf 30 (von 100). Beste Voraussetzungen. Zum Frühstück esse ich eine halbe Scheibe Brot und spaziere gemütlich zum Start. Machen wir einfach das Beste daraus.
Achtund fertig los
Es ist schon einiges los und ein spannendes Grüppli an Personen. Punkt 4 Uhr gehts los. Die Rund 300 Läufer laufen in die Nacht (ca. 100 für den T78 und ca 100 für den T55). Es ist noch dunkel und geht gleich steil bergauf. Wenn man zurück schaut, ergibt sich daraus eine Lichterkette, die einer Perlenkette gleicht.
Ich geniesse die Atmosphäre und bin perfekt im Zeitplan. Irgendwann wird es langsam hell, es hänge noch Wolken um die Berggipfel und auf 2000 m ist es angenehm frisch. Perfekte Bedingungen. Alle 10-15 km (ca. alle 2h) gibt es Verpflegungsposten, die gut ausgestattet sind. Die Freiweilligen, welche helfen sind super freundlich.
Um ca. 9 Uhr stehe ich auf dem ersten hohen 2700 m hohen Gipfel. Hier oben ist lediglich Stein und Geröll doch auch diese Landschaft hat ihre Faszination. Dazwischen gibt es kleine Bergseen und Bäche. Eine spezielle und auf ihre Art schöne Umgebung. Beim Aufstieg komme ich an einem Teilnehmer vorbei, der sich hinsetzen musste, weil er Probleme mit der Höhe hat, doch auch er hat es noch nach oben geschafft.
Beim runterrennen sind die Beine noch frisch und ich kann problemlos telefonieren und dann kommen wir in der Nähe vom Julierpass an. Dort gibt es Fleisch und Käse, worauf ich mich sehr gefreut habe. Endlich etwas anderes als Süsszeugs. Ich greife grosszügig zu. Es sollte das letzte Mal gewesen sein.

Das Leiden nimmt seinen Lauf
Es kommt der nächste Aufstieg. So brutal, lang und steil habe ich mir diese nicht vorgestellt und wenn es um Höhenmeter geht, dann ist das Einschätzen extrem schwierig. Man hat immer das Gefühl, man macht mehr als es in Wirklichkeit sind.
Weitere Gipfel sind geschafft und der nächste Verpflegungsposten kommt. Ich schaffe noch einen Gel, es sollte der letzte sein und mit diesen paar Kolorieren geht es auch bereits auf den nächsten Ausblick, doch jetzt sind die Beine schwer. Es fehlt an Power. Es fehlt jegliche Energie und ich halte mich einfach auf den Beinen versuche wenigstens einen strammen Marsch zu haben. Es sind 40 km durch.
Im Bauch ist dieses Schlechtgefühl. Nichts will rein. Ich zwinge wenigstens regelmässig ein paar Schlücke Wasser/Isostar. Das wenigstens scheint zu funktionieren. Da ich fast nur Isostar getrunken haben, sind meine Hände nicht angeschwollen, was mir sonst bei langen Läufen passiert, wenn ich lediglich Wasser trinken (glaube aufgrund von Salz-/Mineralienmanger.
Der Berg saugt die restlichen frei verfügbaren Kalorieren raus und bald ist der Tank leer. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt durch die Geröllfelder. Der Energiemangel führt dazu, dass auch diese technischen Abschnitte nicht so leicht vorangehen, wie das im ausgeruhten Zustand der Fall wäre.
Irgendwie schaffe ich es auf den letzten Gipfel und nehme den Abstieg in Angriff. Stellenweise mit schönen Trails, die ich leider nicht wirklich geniessen kann. Mit viel Energie, wären das traumhafte Trails, aber so ist es einfach Pflicht.

Unterwegs trinke ich immer mal vom frischen Bergwasser. Das ist ein kleines Highlight.
Ein Vorteil hat das langsame Marschieren: Füsse und Beine schmerzen nicht. Alles im grünen Bereich.
Der psychische Tieffall
Bivio ist der nächste Stopp. Ich überschreite die „Zielgerade“, ein Foto wird gemacht. Es ist das Ziel der T55 Läufer. Sie sitzen alle dort, teilweise frisch geduscht und freuen sich über ihre Leistung. Ein Deutscher der sich auf den Eiger 250 km vorbereitet gratuliert mir. Ich muss ihn leider enttäuschen und sage ihm, dass ich noch 22 km vor mir habe.
Im Hinterkopf habe ich die Aussage von einer Frau aus dem Thurgau, die meinte, die Höhenmeter wären sowohl für den T55 als auch den T78 die gleichen. Heisst, es geht einfach noch runter. Müsste doch machbar sein.
Niedergeschlagen verlasse ich das Fest und trotte weiter. Allein, weil für die meisten in Bivio Endstation ist. An Rennen ist nicht mehr zu denken. Einfach weiter. Mein Marschieren wir zu einem Spazieren. Einer nach dem anderen überholt mich. Unterdessen sind 12h verstrichen. An meine Zielzeit von 14-15 h ist nicht mehr zu denken. Das wäre noch 3h für 22 Kilometer, unter normalen Umständen machbar, aber nicht so. Mein Ziel ist einfach noch anzukommen.
Der Gedanke kam, in Bivio aufzugeben. Das macht doch keinen Sinn hier noch ein paar Stunden zu wandern. Schlussendlich siegt dann doch der kleine Stolz, der noch übrig ist.
Immer wieder muss ich Pausen einlegen und mit hinsetzen. Es geht einfach nicht mehr und in einer Pause überholt mich Laurent. Er meint auch, dass er nichts mehr essen kann und sich mit Cola über Wasser hält. Gute Idee. Warum ist mir das nicht vorher in den Sinn gekommen. Unterwegs breche ich noch in einen Busch, doch es kommt rein nichts raus. Was sollte aus, wenn ich seit Stunden nichts mehr gegessen habe.

Endlich kommt der Posten und ich trinke einen Deziliter Coke. Der freundlich Mann am Posten meint nur, es geht jetzt noch 450 Meter Bergauf. Huch. Von wegen es T55 und T78 hätten die gleiche Anzahl Höhenmeter. Die erste Steigung Packe ich jedoch erstaulich gut. Scheint als würde der Zucker seine Wirkung untfalten, doch der Deziliter ist schnell aufgebraucht und dummerweise habe ich die Flaschen nicht mit Cola aufgefüllt und verfalle wieder ein meinen schlappen zombihaften Spaziergang.
Im Wald habe ich schon Haluzinationen. Das rot/weisse Wanderzeichen hat sich in Gelpackungen verwandelt und irgendwie verfolgt mich die ganze Zeit komische Geräusche. Seltsam. Es geht hoch und und hoch und noch höher. 450 Höhenmeter können so lang sein.
Immer mal wieder überholt mich jemand und schaut mich besorgt an und fragt obs geht: „Ja ja, muss es nur langsam angehen“. Ich komme mir vor wie jemand der mit einem Rennauto auf dem Nürburg Ring ist, der Sprit ist ausgegangen und jetzt muss er das Auto stossen.
Vor meinem geistigen Auto sehe ich mich im Ziel auf irgend einer Trage liegen. Kreislaufzusammenbruch oder so ähnlich.
Stark Abschliessen
Endlich kommt der lang ersehnte Verpflegungsposten und hurra, sie haben Cola. Diesmal geize ich nicht und trinke fast einen halben Liter und fülle auch noch ein Flask auf. Es sind noch 5 leichte Kilometer bis ins Ziel.
Die Wirkung ist unbeschreiblich. Ich fühle mich komplett verwandelt, wie neu geboren. Ich kann wieder rennen (sogar bergauf), mein Kopf fängt wieder an zu funktionieren, ich kann sogar wieder in aller Frische telefonieren. Es ist echt unglaublich. Anfangs noch zögerlich mit einem 6:40 Peace steigere ich mein Tempo auf 5:30!
Mein Puls, der die letzten Stunden im tiefen Bereich zwischen 100 und 120 gedümpelt ist, geht wieder hoch in die sportliche Zone. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wieder Sprit im Tank zu haben und so kann ich die letzten Kilometer richtig geniessen und mit den treuen Fans abschliessen.
Da es bereits am Eindunkeln ist, ist es nicht mehr ganz so warm. Ich dusche schnell und mache mich an die Spaghettis heran… doch weit gefehlt. Die gehen nicht runter. Ich sitze sicher eine Stunde vor dem Teller, plaudere mit dem einen oder anderen, aber mehr als 4-5 Gabeln gehen einfach nicht rein.
Schlussendlich muss ich kapitulieren. Das freundliche Helferteam stattet mich noch mit Riegel und trinken aus, falls ich Nachts Hunger bekomme. Ein paar Meter hinter dem Glände neben dem Tennisplatz breite ich mein Mäteli und Schlafsack aus und gehe schlafen.
Ursprünglich wäre der Plan gewesen um 8 Uhr den Bus nach Hause zu nehmen, doch Plan B musste hinhalten. Eine sternenklare Nacht, angenehm kühl, einafch herrlich und nach wenigen Minuten bin ich eingeschlafen…. bis mich jemand mit einem Schlauch Wasser aus dem Schlaf reisst. Der Tennisplatz wird alle 2h oder so automatisch gewässert. Ich bringe mich schnell in Sicherheit ein paar Meter weiter neben dran. Jetzt wo es ganz dunkel ist, bewundere ich noch die Milchstrasse und die unendliche Weite des Nachthimmels.
Lessons learned
- Essen ist der Anfang und das Ende. Ich weiss zwar noch nicht, wie ich das beim nächsten Mal besser machen soll/kann, aber irgendwie muss es möglich sein. Es ist absolut faszinierend, diese Transformationen am eigenen Körper erleben zu können. Das Gefühl von sich kaum auf den Beinen halten zu können, die Lebensfreude die erlischt zu vor Kraft nur so strotzen. Ich glaube die angepeilte Zielzeit von 14 h wäre durchaus realistisch gewesen, wenn Sprit im Tank gewesen ist.
- Never give up. Kleine Dinge können riesige Auswirkungen haben.
- Top Organisation. Nie gab es Zweifel, wo der Weg durchgeht. Die Helfer waren alle mega freundlich und hilfsbereit. Die Posten waren stehts ein Lichtblick.